31 October 2017

Hybrid-U-Bahn für Berlin

Auch wenn es auf Webseiten wie "Linie Plus" und in diversen Eisenbahn- und Nahverkehrsforen schon zu hunderten Vorschläge für neue U-Bahn und Tramlinien in Berlin gibt, möchte ich hier doch noch einen hinzufügen, weil er ganz besonders zur aktuellen Verkehrslage und zur Stadt Berlin passt.

Wie ist denn diese aktuelle Lage? Berlin hat Deutschlands größtes U-Bahn-Netz und dazu noch ein paar so genannte Vorleistungen, also Tunnelstationen die schon vor Jahrzehnten mit einer Linie errichtet wurden und bereits Platz für eine weitere bieten. Soweit ich weiß sind die ältesten Beispiele am Wittenbergplatz, wo Platz für ein sechstes Gleis zwar noch nicht gebaut, aber in der Planung berücksichtigt ist, damit die drei von Westen kommenden Linien auch wieder in drei verschiedenen Strecken nach Osten weiter fahren können, und am Alexanderplatz, wo in der Ebene der U5 bereits zwei zusätzliche Bahnsteigkanten vorhanden sind, die von einer Linie aus Weißensee genutzt werden sollten. Für diese Linie wurde jüngst sogar unter der neuen U5 Station am Roten Rathaus eine zweite Ebene eingebaut, in der Züge kehren und parken können.

Andererseits hat Berlin auch Deutschlands größtes Straßenbahnnetz und die Stadtverwaltung hat schlau erkannt, dass angesichts hoher Baukosten für neue U-Bahnen bei der Straßenbahn für gleiches Geld ein viel höherer Nutzen erreicht werden kann.

Wenn man diese aktuelle Lage unter den zeitlosen Aspekten der Verkehrsplanung betrachtet, so stehen auch U-Bahn und Straßenbahn oft überhaupt nicht in Konkurrenz: Die Tram zum Hauptbahnhof welche aus Osten von drei verschiedenen Strecken kommt bietet viele Direktverbindungen. Die U5 am Hauptbahnhof hingegen bindet die zentralsten Orte von Berlins alter Mitte und entfernte Wohngebiete an. Die nach der Wende gebaute Straßenbahn M13 transportiert täglich viele Menschen, aber nicht genug, dass hier eine U-Bahn benötigt würde. Dasselbe gilt für die neuen Straßenbahnstrecken in Adlershof.

Zur Transportkapazität eine kleine Rechnung: es gilt hier einerseits die Fahrzeug-Größe als auch den Takt der Linien zu vergleichen. Berliner Straßenbahnen sind zwischen 2,30 m und 2,40 m breit und auf den wichtigen Linien 40 bis 60 m lang. (2,20 m breite Straßenbahnen waren bis vor kurzem auch im Linienverkehr, aber sind nun nur noch Reserve.)  Lange 60 Meter Züge fahren zur Zeit übrigens nur auf den Linien M4, M5 und M6.
U-Bahn-Züge sind 2,30 m bis 2,65 m breit, wobei 2,40 m wegen der Tunnelbreiten wohl das Maximum im Kleinprofil (Linien U1 bis U4) darstellt und auch nur von den neusten Fahrzeugen ausgenutzt wird, die erst im Jahr 2018 in Betrieb gehen. Zuglänge ca. 100m. Im Vergleich mit einer 60 m langen Tram passen also ca doppelt so viele Passagiere in einen U-Bahn-Zug!
Beim Takt muss die Tram der U-Bahn theoretisch nicht nachstehen doch wird es einfach sehr teuer öfter als alle 5 Minuten auf einer Linie zu fahren, die nicht vom Straßenverkehr getrennt ist, weil durch die Wartezeiten an Kreuzungen auch mehr Fahrzeuge gebraucht werden als bei einer U-Bahn. An dieser Stelle macht sich schon der Vorteil einer Hybridlösung bemerkbar: fährt die Straßenbahn getrennt vom Straßenverkehr auf eigener Trasse, dann ist sie schon schneller und der Betrieb wird auch billiger. Kreuzt sie zudem noch verkehrsreiche Straßen durch kurze Tunnel, so kann die Kapazität noch einmal erhöht werden. (Nebenbei bemerkt sind diese Ausbauten der Strecken und Haltestellen auch Voraussetzungen, um überhaupt 60 m lange Fahrzeuge einsetzen zu können.)
In Berlin fahren die meisten Metro-Trams zur Hauptverkehrszeit im 5 Minuten Takt. Die U-Bahn fährt auf einigen Linien noch häufiger, allerdings ergibt sich durch Bündelungen von Tram-Linien z.B. in der Landsberger Allee auch ein Takt von mehr als drei Fahrzeugen pro zehn Minuten. Den Vergleich auf einen festen Faktor zu bringen, wird hier der Sache nicht gerecht, jedoch zeigt ein Blick in andere Städte, dass gerade wenn mehrere Straßenbahnlinien in einem Tunnel gebündelt werden, der Takt auf der Bündelstrecke höher wird als er sich bei einer einzigen U-Bahn-Linie lohnen würde.

Und hier sind wir bei einem grundsätzlichen Gegensatz des Verkehrswesens angekommen, der Heute in Berlin genau wie überall gilt: Einerseits ist Verkehr dichter in den Innenstädten als in den Vorstädten und Verkehrsmittel müssen nach dem Kapazitätsbedarf ausgewählt werden. Andererseits ist es im öffentlichen Verkehr wichtig umsteigefreie Verbindungen und dafür eben lange Linien eines Verkehrsmittels anzubieten. Eine U-Bahn ist für den Vorort zu teuer, eine Straßenbahn aber für die Innenstadt zu klein. Die Lösung, um trotzdem noch direkte Verbindungen anzubieten liegt daher in einer Straßenbahn, die innerstädtisch im Tunnel fährt und die kleinere Kapazität der Fahrzeuge durch höhere Takte im Tunnel ausgleicht!

Was aber nun hat dieses allgemeine Prinzip mit Berlin zu tun? Hier sollen natürlich nicht U-Bahn und Tram zu einem großen ganzen vermischt werden, sondern am Einzelfall untersucht, wo ein kurzer Tram-Tunnel hohen Nutzen schaffen kann!

Wenn wir uns einmal auf einer Karte anschauen, welche Verkehrsadern in Berlin zur Zeit die höchste Auslastung bewältigen, gibt das einige Hinweise für neue Linien:

Natürlich fällt zuerst auf, dass die S-Bahn (grün) und U-Bahn (blau) den Hauptanteil der Verkehrslast tragen. Außerdem sind die Buslinien (orange) in Ostberlin sehr dünn, weil dort die Tram (gelb) den Hauptteil des Verkehrs bewältigt!
Anhand der am stärksten befahrenen Bus-Korridore lässt sich ablesen, wo das Fahrgastpotential für neue U-Bahn- und Straßenbahn-Strecken am höchsten ist. Wenn man sich die vom Berliner Senat (nicht nur in der aktuellen Koalition mit den Grünen, sondern auch schon vorher) geplanten Bau-Schwerpunkte mit der Blickwinkel von Fortführung der Linien anschaut, stellt man fest:

  • Die Tram vom Hauptbahnhof zur Turmstraße (Bild links oben) schließt an die bereits existierenden Linien an.
  • Die U5 vom Alex zum Hauptbahnhof auch.
  • Für die Tram in der Sonnenallee (Bild rechts unten) ist eine Fortführung über die Bülowstraße bis zum Potsdamer Platz vorgesehen, was auch sinnvoll ist und für viele Anwohner auch einen Vorteil gegenüber der U-Bahn bietet, die gerade der parallelen Buslinie die Fahrgäste entzieht.
  • Für die Tram nach Steglitz (Bild links unten) ist ebenso eine Fortführung zum Kulturforum und Potsdamer Platz vorgesehen und von dort eine Fortführung zum Alexanderplatz für die teilweise sogar schon Gleise verlegt wurden! Hierdurch sind die Ost- und Westberliner Tramnetze dann verbunden!
  • Auch die Verlängerung der U1 unter dem Kurfürstendamm ab Uhlandstraße (im Bild links Mitte, vermischt mit dem großen Verkehrsknoten am Bahnhof Zoo) bis zum Adenauerplatz (wo die oben schon erwähnte Station der U7 schon vorgebaut wurde) erscheint sehr schlüssig. Auch wenn U-Bahnbau sehr teuer ist, gibt es doch hier durchaus genug Verkehrsbedarf und die Umsteigemöglichkeiten scheinen den Bau eines Tunnels zu rechtfertigen. Doch was bedeutet der U-Bahnbau für im Sinne eines Linienkonzepts mit möglichst vielen Direktverbindungen?
Aktuell fahren auf dem Ku'damm 5 verschiedene Buslinien, die im Westen verschiedene Vororte direkt erschließen. Besonders erwähnenswert sind die beiden Metrobus-Linien aus Grunewald (M19 und M29) und natürlich der Umstand, dass auch am S-Bahnhof Halensee ein wichtiger Umsteigepunkt liegt. Andererseits sieht man auf der Auslastungskarte gut, dass trotz zwei dort verkehrender U-Bahn-Linien zwischen Zoo und Wittenbergplatz immer noch eine sehr starke Nutzung von Bussen besteht. Offensichtlich nutzen die Bus-Fahrgäste aus Grunewald und Schmargendorf die U-Bahn nicht, sondern bleiben im Bus sitzen, um direkt an ihr Ziel oder den nächsten Umstieg zur S-Bahn oder einer anderen U-Bahn zu kommen!
Könnte man also den Busverkehr auf dem Ku'damm wirklich stark reduzieren, wenn die U1 dort um zwei Stationen verlängert wäre? Hier besteht genug Zweifel, um die Frage anders zu stellen: wie müsste man auf dem Ku'damm bauen, damit Direktverbindungen erhalten bleiben und sich noch verbessern?
Es ist unwahrscheinlich und würde zumindest sehr lange dauern bis die U1 auch bis zum S-Bahn-Ring in Halensee verlängert wäre. Eine weitere Verlängerung der U-Bahn wäre ganz und gar unwirtschaftlich, aber als Tram würde es Sinn machen! Doch wie erreicht man mit der Tram eine Durchbindung ohne im Bereich Zoo und Wittenbergplatz neben Bus und U-Bahn noch zusätzlichen einen Parallelverkehr mit Straßenbahnen einzurichten? 
Hier kommt natürlich die Tunneltram ins Spiel und die schon oben gemachte Beobachtung, dass der U-Bahnhof Wittenbergplatz auch Platz für sechs Gleise und damit drei unabhängige Linien bietet. Hier können also U1 vom Ku'dam als Tram, U2 wie bisher und U3 (nach Westen weiter als U1) unabhängig und ohne sich gegenseitig in ihren verschiedenen Technologien zu stören verkehren.
Wie sähe das im Detail aus?
  • Eine Tunnelrampe westlich Adenauerplatz auf dem Mittelstreifen des Kurfürstendamms.
  • Von dort nach Süd-Westen eine Straßenbahntrasse auf dem Mittelstreifen mit entsprechenden Haltestellen. 
  • Am Ende des Ku'damms verzweigt die Tram-Strecke in die beiden Strecken der heutigen Metrobusse nach S Grunewald und zum Roseneck.
  • Ein weiterer Abzweig schon vorher über die Holtzendorfstraße zur Messe/ICC/ZOB wäre auch möglich.
  • Ab Adenauerplatz bis Wittenbergplatz verkehren die Trams im Tunnel der heutigen U1. Am Wittenbergplatz gibt es durch die Anlage des Bahnhofs gute Umstiegsmöglichkeiten. Gebaut werden muss jedoch an der Ostseite noch eine Ausfädelung der Tramstrecke, damit die U3/U1 zum Nollendorfplatz nicht gekreuzt wird.
  • Auf dem wiederum sehr breiten Mittelstreifen der Straße an der Urania taucht die Tunnel-Tram wieder auf. Außerdem wird hier eine unterirdische Kehranlage gebaut, so dass Züge vom Ku'damm kommend auch am Wittenbergplatz enden können.
  • Über Kurfürstenstraße, Genthiner Straße, Magdeburger Platz und Stauffenbergstraße geht es dann zum Kulturforum und Potsdamer Platz. Dort besteht Anschluss an die bereits offiziell vom Senat geplanten Strecken über die Leipziger Straße (Richtung Alexanderplatz) und Stresemannstraße (Richtung Hermannplatz und Sonnenallee).
  • Ab der Urania ist auch eine weitere Strecke über Lützowplatz, großer Stern, Paulstraße, Invalidenstraße möglich, die Anschluss an den Hauptbahnhof und das dortige Netz bietet. Die Linie könnte dann zum Beispiel als M5, M8 oder (am wahrscheinlichsten) M10 weiter fahren.
Vor einiger Zeit beschrieb ich schon, wie auch der Tunnel der U4 für eine Tram genutzt werden könnte. Das hier beschriebene ergänzt sich damit wunderbar:
  • Ab Magdeburger Platz können beide Linien auf gemeinsamer Strecke zum Kulturforum und Potsdamer Platz verkehren. Ein Umstieg zwischen den Linien ist also weiterhin möglich auch wenn die Ku'damm-Linien nicht mehr zum Nollendorfplatz fahren.
  • Da die U3 nicht mehr hinter dem Nollendorfplatz endet, wird die dortige Abstellanlage frei und kann vom Tram-Tunnel der U-M4 genutzt werden.
Hier eine Karte möglicher Linienverläufe:

Detailbemerkungen:
  • Wer sich beim Tunneln auskennt wird bemerken, dass die Ausfädelung der Tunneltram östlich vom Wittenbergplatz zur teuersten aller Baumaßnahmen dieses Vorschlags werde könnte. Aber genau hieran scheinen die Baumeister vor über hundert Jahren schon gedacht zu haben, denn wie man auf dieser Skizze erkennen kann, wurde dazu schon ein besonderes Fundament unter dem U-Bahn-Tunnel eingebaut. (Bild-Quelle 1, Quelle 2). Und noch schönere Quelle.
  • Genauso glücklich scheint die Situation Nord-Östlich vom Nollendorfplatz. Wenn man der kleinen Skizze auf jener Webseite glauben kann, liegt der Streckentunnel der U1 hier unter dem jetzigen Abstelltunnel, so dass ein Anschluss einer Rampe für Tunneltrams auf kürzerer Strecke erfolgen kann. (Andernfalls würde nur die Tram aus Richtung Urania am Magdeburger Platz eine Haltestelle bekommen und die Zusammenführung mit der U-M4 erst weiter nördlich erfolgen.)
  • Durch die Bündelung mindestens zweier Tram-Linien kann zwischen S Halensee und U Wittenbergplatz trotz der Zuglängen von nur 60 m eine hohe Kapazität erreicht werden. Falls das noch nicht ausreicht, ist auch der Einsatz von Verstärkerzügen zwischen Wittenbergplatz (dank Kehranlage an der Urania) und U Adenauerplatz oder S Halensee möglich. (Auch unter der Rampe auf dem Ku'damm ist eine Kehranlage dafür nützlich! So können z.B. auch im Störungsfall der Straßenstrecken die Trams im Tunnel noch in hohem Takt verkehren.)

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