2 January 2014

S-Bahn Leipzig

Der neue S-Bahn-Tunnel in Leipzig ist fertig und hat Mitte Dezember den Betrieb aufgenommen. Ich war dort und habe mir vieles angesehen. Die Stationen sind wirklich beeindruckend. Große helle Räume, kurze Wege, Prunk nicht durch Dekoration sondern durch Eleganz und Größe. Ganz das Gegenteil der Pariser Metro, an die ich mich im letzten Sommer nicht gewöhnen konnte.
Am Hauptbahnhof zum Beispiel kann man vom Tiefbahnsteig durch den nördlichen Eingangsbereich bis hoch zum großen Bahnhofsdach schauen. Am Markt und Wilhelm Leuschner Platz hat man die Tiefe von ca. 20 m genutzt, um die Decke entsprechend hoch zu machen, was beim Wilhelm Leuschner Platz dazu führt, dass man die Decke gar nicht mehr wahr nimmt. Schön einfach mutet es an, dass die S-Bahnsteige im Hauptbahnhof einfach als Gleis 1 und 2 bezeichnet werden. Tragisch ist dagegen, dass die alten Gleise 1 bis 5 allesamt stillgelegt wurden!


Andererseits gibt es neben all der Schönheit und dem Glanz auch andere Dinge zu beobachten, die das "Halle-Leipziger-S-Bahn-System" zu etwas Besonderem machen -- und zwar nicht nur im positiven Sinn. Alles in allem ähnelt es in vielerlei Hinsicht eher einem "Regionalbahntunnel" als einem eigenen Stadt-und-Vorort-Bahn-System wie wir es aus den größten deutschen Städten kennen. Es ist ja eigentlich das wichtigste Kennzeichen der Stadtschnellbahn oder Vorortbahn, dass sie den Stadt- und Vorort-Verkehr vom restlichen Eisenbahnverkehr trennt. So hat in Berlin und Hamburg die S-Bahn (fast) komplett eigene Gleise und Bahnsteige. In München, Frankfurt und Stuttgart hat sie zumindest eigene Bahnsteige und die meisten Stationen der S-Bahn werden auch nur von der S-Bahn und nicht von Regionalzügen bedient. Die S-Bahn bedient den nahen Einzugsbereich der Stadt mit maximal 30 Minuten Fahrzeit zum Zentrum und für den Rest gibt es eigene Linien. So sind S-Bahn-Züge auf kurze Fahrzeiten, häufige Halte und einen schnellen Fahrgastwechsel ausgelegt während die Regionalbahn zum Beispiel mehr Sitzplätze bietet und Toiletten im Zug. (Die S-Bahn Berlin hat ja nichtmal Mülleimer im Zug!) In Leipzig vermischen sich beide Verkehre total. S-Bahn-Züge von Leipzig nach Hoyerswerda sind zum Beispiel 2,5 Stunden in einer Richtung unterwegs und fahren nur alle zwei Stunden so weit. S-Bahn-Fahrgäste in den halbstündlich fahrenen Bahnen zwischen Leipzig und Eilenburg mischen sich also alle zwei Stunden mit den Regionalfahrern der längeren Strecke im selben Zug. Bei einer richtigen S-Bahn würde der Zug aus Hoyerswerda ab Eilenburg (oder ab Torgau) ohne Halt durchfahren.
Am Hauptbahnhof steigen so viele Menschen ein und aus, dass in manchen Zügen kein Platz mehr ist. Ich stelle es mir etwas unschön vor, wenn der Zug nach Hoyerswerda voller Leipziger ist, die nur ein paar Stationen fahren wollen, und deswegen Reisende nach Hoyerswerda selbst keine Plätze mehr im Zug finden!

Auch die Transportkapazität liegt einer anderen Liga als die der großen S-Bahnen. Die Bahnsteige sind so lang wie in Berlin (140 m), aber die Züge fahren meist nur in halber Länge (meist 3 oder 4 von 7 möglichen Wagen). Die Taktfrequenz liegt aber mit 30 Minuten weit unter dem in Berlin zur Hauptverkehrszeit praktizierten Zehn-Minutentakt oder dem Hamburger System mit 5-Minutentakt pro Linie. Andererseits haben Systeme wie Frankfurt und Stuttgart zwar auch einen 30-Minuten-Basistakt, aber dort sind die Züge mit bis zu 210 m um 50% länger. (In München wird diese Zuglänge sogar teilweise im Zehn-Minuten-Takt gefahren.)

Das "Regionalbahngefühl" kommt nicht nur in den Zügen auf, die übrigens auch ganz im Gegensatz zur typischen S-Bahn alle mit Zugbegleitern fahren, sondern auch auf den Stationen, die ganz "wie auf dem Land" gestaltet sind: moderne Bahnsteige mit wenig Mobiliar, Automaten auf dem Bahnsteig und nicht wie bei S- und U-Bahn in einem Zwischengeschoss oder Empfangsgebäude. Selbst in der Haltestelle Wilhelm-Leuschner-Platz mitten in der Innenstadt fühle ich mich ob der niedrigen Bahnsteige (55 cm), der DB-Regio-typischen Ausstattung und der kaum wahrnehmbaren Decke ganz wie auf einem dörflichen Regionalbahnsteig.

Aber das alles soll keine Kritik sein: die neuen Stationen machen den öffentlichen Verkehr sicher sehr attraktiv und verkürzen Reisezeiten für viele Menschen. Nicht zuletzt wurde hier eine Infrastruktur geschaffen, die über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte den Menschen dienen soll. (Die Berliner Stadt- und Vorortbahn ist ja schon 125 Jahre alt, der Nord-Süd-Tunnel 77 Jahre alt.) Durch die Auslegung für und Ausstattung mit ganz normaler Eisenbahntechnik ist das Bauwerk sicher flexibel genug, um sich auch zukünftigen Herausforderungen zu stellen. Vielleicht gibt es ja irgendwann einen getrennten S- und R-Verkehr und vielleicht fahren einige R-Bahnen trotzdem durch den Tunnel. Vielleicht sieht man irgendwann ja auch mal Doppelstockwagen im Tunnel.

Hier noch mehr Photos von meinem Besuch.

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