Das Bayerische Verkehrsministerium hat diese Woche
Präsentationsunterlagen zu einem Gutachten veröffentlicht, welches Kosten und Nutzen eines zweiten S-Bahn Citytunnels mit einem Ausbau des Südrings zur zweiten S-Bahn-Stammstrecke vergleicht. Das Resultat wurde von Aktivisten sofort scharf kritisiert. Für den zweiten Tunnel übernahm das Gutachten schlicht die offiziell geschätzten Baukosten, die von vielen als viel zu niedrig bezeichnet werden. Für den Südringausbau wurden die Kosten weit höher angegeben, als von dessen Proponenten bisher geschätzt. Angeblich wurden Kosten für Grundstücke mit eingerechnet, die die Deutsche Bahn von sich selbst kaufen müsste. (Wahrscheinlich hat die Bahn vor, diese Grundstücke anderweitig zu vermarkten und will sich den Kaufpreis nicht entgehen lassen! Falls das so ist, muss es aber nicht schlecht sein. Schließlich könnte man beides haben und die Bahnstrecke teilweise in Tieflage führen und einfach überbauen! Dann wäre auch das Problem des Lärmschutzes gelöst!)
Was für mich aus der Präsentation erschreckend war, ist dass beide Lösungen so einen geringen Kosten-Nutzen-Faktor (KNF) haben. Nach diesem (bundesweit einheitlich vorgeschriebenen) Berechnungsverfahren entsteht ein KNF größer als 1 überhaupt nur, wenn man das Netz in Express- und normale S-Bahnen aufteilt. Denn nur, wenn ein neues Netz auch kürzere Fahrtzeiten liefern kann, erscheint der Nutzen als hoch genug. Der Südring erscheint aber in beiden Fällen als zu teuer und erreicht nur einen KNF von 0,8 während der Tunnel auf einen KNF von 1,15 kommt. Für mich ist ganz klar, dass der Tunnel teurer ist als dargestellt und damit realistisch auch keinen KNF größer 1 erreicht. Im Klartext: beide Projekte sind zu teuer im Vergleich zum erwarteten Nutzen!
Aber worin besteht der Nutzen eigentlich? Man möchte gern mehr S-Bahn-Züge fahren lassen! Ob nun ein 10-Minutentakt in der Hauptverkehrszeit (HVZ) oder eine Mischung aus S-Bahn alle 15 und Express alle 30 Minuten – in jedem Fall wären es sechs Züge pro Stunde auf jeder Linie. Bei sieben Linien wären das 42 Züge die pro Stunde (und Richtung) durch die Müncher Innenstadt rollen müssten, wobei das Limit des Stammstreckentunnels bei 37,5 Zugfahrten pro Stunde liegt, was aber allein schon wegen der zum Aus- und Einsteigen notwendigen Zeiten kritisch ist. Zur Zeit gilt der Tunnel mit 30 Fahrten pro Stunde (F/h) schon als voll (und wenn's nach den Politikern geht: „übervoll“), obwohl manche auch 33 Züge pro Stunde für realistisch möglich halten. Entscheidend ist aber, dass der Tunnel bei weitem nicht das einzige Problem ist. Die zur Zeit 30 F/h setzen sich zusammen aus vier Linien im 20-Minuten-Takt (4×3 = 12 F/h) und drei Linien im 10-Minuten-Takt (3×6 = 18 F/h). Man würde also denken, dass für eine weitere Linie im 10er Takt die Tunnelnutzung auf 33 F/h steigen würde, aber weit gefehlt! Wenn man sich die Situation näher anschaut, so handelt es sich bei den Verstärkerfahrten (also den zusätzlichen Zugfahrten, die einen 20er Takt zum 10er Takt machen) im Westen um Fahrten der S2 ab Dachau, S3 ab Maisach, und S5 (ab 2010: S8) ab Weßling. Im Osten hingegen wird nur die Linie nach Holzkirchen ab Deisenhofen verstärt und die Linie nach Ebersberg ab Zorneding. Wie kommt es dass manche Linien 10er Takt im Westen haben, aber nur 20er Takt im Osten? Ganz einfach: die Verstärkerfahrten enden am Ostbahnhof!
Was müsste man tun, um auf mehr östlichen Linienästen einen 10er Takt anzubieten ohne den Citytunnel mehr zu belasten? Einfach die S-Bahnen ab Ostbahnhof weiter fahren lassen! Aber für wie viele Linien würde dieser Trick funktionieren? Rechnen wir mal: die S-Bahn hat im Osten fünf Äste, wenn diese alle im 10er Takt fahren, wären das 30 F/h – genauso viele wie ohnehin schon im Tunnel fahren. Aber wie ist das möglich? Ebenfalls ganz einfach: drei Linien im 10er Takt aus Westen kommend fahren auf drei östlichen Ästen im 10er Takt weiter. Von den vier anderen Linien fahren jeweils zwei gebündelt auf einem Ast, so dass auch hier ein 10er Takt entsteht. Zu kompliziert? Aber nicht doch: genau das wird ja im ab Dezember 2009 gültigen Fahrplan erreicht: der oben schon erwähnte 10er Takt bis Zorneding besteht aus S4 und S6 welche beide im 20er Takt verkehren. Durch diese Umstellung wurde sogar ein reiner 10-Minuten-Takt erreicht, während bis 2009 auf einigen Linienästen die Züge nur im 9/11 oder sogar 7/13 Takt fuhren.
Was bedeutet dies nun für die angebliche Verstopfung des Innenstadttunnels? Auf allen fünf östlichen Ästen könnte die S-Bahn bereits im 10er Takt fahren, und dazu auf drei westlichen Ästen. Das sind 8 von 12 Ästen. Dazu kommt noch, dass für die S7 wegen der geringen Auslastung kein 10er Takt gewünscht wird. Es bleiben also noch drei Äste, deren Verstärkerzüge nicht in den Tunnel passen. Wollte man diese unbedingt verstärken, könnte man natürlich die entsprechenden Züge einfach im Hauptbahnhof enden lassen (immerhin ist der Hbf mit seinen zwei U-Bahnhöfen, Bahnanschlüssen, Bus, Tram und Innenstadt-naher Lage für viele Fahrgäste ohnehin der Aus- oder Umstiegspunkt), wobei im Umstieg in die Innenstadt an der Donnersbergbrücke oder am Laim am gleichen Bahnsteig und mit nur einer Minute Wartezeit möglich ist.
Wo liegt also der eigentliche Engpaß? Warum wenden die Verstärkerzüge am Ostbahnhof anstelle nach Markt Schwaben oder Unterföhring (oder gleich bis zum Flughafen, da diese Strecke exklusiv der S-Bahn gehört) weiterzufahren? Das eigentliche Problem der Münchner S-Bahn sind die Außenäste! Wenn schon der heutige Tunnel nicht vollständig ausgelastet wird, wie will man einen zweiten Tunnel oder den ausgebauten Südring auslasten? Wozu Milliarden in der Innenstadt investieren, wenn die Züge nicht taktgerecht ins Umland fahren können? Zu den ohnehin schon hohen Kosten der vorgeschlagenen Projekte kommen also noch die Ausbaukosten für die Außenäste hinzu. Die Summe würde nach dieser Rechnung niemals einen NKV größer als 1 erreichen.
Was sollte man also tun? Einen Plan aufstellen, welche Außenäste bis wann auf den 10er Takt (oder ein Express-System) umgestellt werden sollen und deren Ausbaumaßnahmen planen und bepreisen. Im Osten kann der Ausbau unabhängig von Überlegungen zur Stammstrecke erfolgen. Im Westen kann man zunächst einen Verstärker- oder Express-Vorlaufbetrieb mit Ende am Hauptbahnhof aufnehmen. Zu gegebener Zeit kann man dann den Südring teilweise für die S-Bahn (oder nur Express-S-Bahn mit weniger Halten) ausbauen. Wie
eine andere Studie aufzeigt, sind dazu nicht wie im zitierten Gutachten angenommen ein viergleisiger Ausbau nötig, sondern zwei Gleise ab dem alten Südbahnhof (Station Poccistraße) reichen vollkommen aus. Wenn man zu dem bedenkt, dass zukünftig der meiste (oder aller) Güterverkehr über den Nordring abgewickelt werden soll, und dass die Fern- und Regionalzüge Richtung Salzburg und Mühlacker zukünftig möglicherweise durch einen Tunnel zum Flughafen fahren (wie
von mir schon berichtet, und hier bebildert), und nicht über den Südring. Der Südring kann damit schrittweise zu einer wirklich kostengünstigen Alternative ausgebaut werden.
Die Frage ist also überhaupt nicht, ob man nun einen zweiten Citytunnel oder einen viergleisigen Südring braucht. Die Frage ist: wann werden die Außenäste ausgebaut? Auf welchen Ästen ist ein 10er Takt oder Express-Züge am meisten gewünscht und am ehesten zu erreichen?
Eine volle Version des Gutachtens soll Ende November veröffentlicht werden. Wahrscheinlich müssen die Tunnel-Befürworter in der Politik noch weiter daran herum-manipulieren, damit das Ergebnis weniger knapp aussieht, als es eigentlich ist. Bereits in der oben genannten Präsentation illustrieren die meisten Bilder Nachteile des Südrings ohne auf den Tunnel im Detail einzugehen.
Nachtrag: Ich habe mir das Angebotskonzept des Gutachtens noch einmal angesehen und mit Schrecken festgestellt, dass das Mehrangebot zur HVZ nur in drei (3) Fahrten pro Stunde besteht! Für 33 statt Heute 30 Züge baut man also einen Milliarden-teuren Tunnel! Das ist ein Skandal von dem in der Presse bisher geschwiegen wird. Aber typisch Bahn und Politik: bei Prestigeprojekten wird geklotzt aber für ein stufenweises Mehrangebot gibt es nicht mal ein paar Millionen.